Transatlantik (Die Gereon-Rath-Romane 9): Der neunte Rath-Roman (German Edition) by Volker Kutscher

Transatlantik (Die Gereon-Rath-Romane 9): Der neunte Rath-Roman (German Edition) by Volker Kutscher

Autor:Volker Kutscher [Kutscher, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2022-10-27T00:00:00+00:00


46

Die Dame am Nebentisch, eine Amerikanerin, stand auf und war plötzlich ganz aufgeregt. »That’s Long Island«, sagte sie und zeigte hinaus, »that’s New York«

Rath drückte seine Zigarette aus und trat zu ihr an das große Panoramafenster des Rauchersalons. Der Regen, der sie seit Boston begleitete, hatte aufgehört, die Sicht war klar, unten glitt der riesige Schatten des Luftschiffs über die Dünen einer Küstenlandschaft.

»Finally«, sagte er.

Sie drehte sich zu ihm um. »You are Mister Oswald, right?«

Rath nickte. »Yes«, sagte er und nickte. »Hartmut Oswald.«

»You are going to marry this charming Russian Lady, aren’t you?«

»Right. Miss Jawlenka is my fiancée.«

Die Lüge vom frisch verlobten Pärchen hielten sie immer noch aufrecht, obwohl sich ihr Verhältnis in den letzten Tagen merklich abgekühlt hatte. Auch jetzt wusste er nicht, wo sich die Gräfin befand. Nach dem Mittagessen war er in den Rauchersalon hinabgegangen, in dem er sich ohnehin meistens aufhielt, denn nirgendwo anders an Bord war das Rauchen erlaubt. Die Sorokina war längst keine so starke Raucherin wie er. Oder wie Misses Mather, die jetzt neben ihm am Fenster stand und sich die nächste Marlboro aus der Schachtel klopfte. Eilfertig gab ihr der Steward Feuer. Rath unterdrückte den Drang, es ihr gleichzutun und die nächste Overstolz aus dem Etui zu klauben. Viele hatte er ohnehin nicht mehr, in den Staaten würde er die Zigarettenmarke wechseln müssen.

Und dann waren sie plötzlich über der Stadt. Von Norden kommend schwebte die Hindenburg über Manhattan hinweg, über Harlem und den Central Park, so tief am Empire State Building vorbei, dass man den Menschen auf der Aussichtsplattform zuwinken konnte. Anders als Boston, wo sie von Schiffssirenen, Autohupen und tanzenden Flugzeugen empfangen worden waren, zeigte sich New York, obwohl auch hier ein paar Schiffssirenen tönten und Flugzeuge aufstiegen, weitaus weniger beeindruckt von der Hindenburg. Es war, im Gegenteil, eher so, dass sich die Passagiere des Zeppelins von New York beeindruckt zeigten. Alles drängte an die Panoramafenster, um einen Blick in die Hochhausschluchten zu werfen, in denen sich Auto an Auto reihte, kleine bunte Punkte, die sich langsam bewegten. Es regnete nicht, und für einen Augenblick schien ihnen sogar die Sonne ins Gesicht, doch im Süden, hinter den Hochhäusern Manhattans, türmten sich schwarze Wolken.

Das Luftschiff drehte noch eine Kurve und folgte dann dem Lauf des Hudson River Richtung Süden. Rath wusste nicht, ob die Häuser, die nun auftauchten, zu Hoboken gehörten oder zu einer der anderen Städte, die sich gegenüber der gewaltigen Wolkenkratzerinsel auf dem Jerseyufer aneinanderreihten, aber da unten irgendwo würde jetzt sein Bruder sitzen, vielleicht bei einem Bier, vielleicht bei einem Kaffee, vielleicht bei einer Jazzplatte, die er gerade ausgepackt hatte. Rath fragte sich, was für ein Gesicht Severin machen würde, wenn der kleine Bruder plötzlich auf der Matte stünde. Ihr letzter Briefwechsel lag schon ein paar Jahre zurück, ob die Kunde vom Tod Gereon Raths dennoch bis nach Hoboken, New Jersey gedrungen war?

Sie hatten die Südspitze Manhattans erreicht und umrundeten die Freiheitsstatue, die Rath seltsam klein vorkam, wie eine zerbrechliche Porzellanfigur, die jederzeit ins Wasser stürzen könnte.

Kapitän Pruss meldete



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